Teil 1 Die Berücksichtigung im Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §2325 BGB
Die Berücksichtigung von Vermögenswerten im Rahmen des sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist immer wieder Ausgangspunkt für mannigfaltige Streitigkeiten.
Die Ausgangssituation
Die Ausgangssituation ist dabei stets die Folgende: Eine nach den gesetzlichen Vorschriften erbberechtigte Person (§§ 1924 ff. BGB) wird durch eine letztwillige Verfügung enterbt. Soweit es sich dabei um die Abkömmlinge des Erblassers oder den Ehepartner handelt, ist dieser nach § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt. Das Pflichtteilsrecht gibt dem Enterbten einen Anspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils am Nachlass des Verstorbenen.
Derweil bezieht sich der Anspruch des Enterbten nicht nur auf das tatsächliche zum Todeszeitpunkt im Nachlass vorhandene Vermögen. Vielmehr steht dem Pflichtteilsberechtigten auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch zu.
Damit der Pflichtteilsberechtigte nicht durch Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten übermäßig belastet wird, werden Schenkungen des Erblassers an Dritte in den letzten zehn Jahren nach einem bestimmten rechnerischen Schlüssel zum Nachlassvermögen hinzugerechnet. Der verschenkte Vermögenswert wird „fiktiv“ in den Nachlass hineingerechnet.
Die grundlegende Überlegung hinter dieser Regel ist Folgende: Was nützt dem Pflichtteilsberechtigten ein Anspruch am Nachlass, wenn der Erblasser kurz vor seinem Tod alles verschenkt hat? Dann hätte der Pflichtteilsberechtigte zwar auf dem Papier einen Anspruch, dieser würde sich aber allein an dem noch vorhandenen Vermögen bemessen.
Daher ordnet § 2325 BGB an, dass die Schenkungen des Erblassers der letzten zehn Jahre nach einem „Abschmelzmodell“ zu berücksichtigen sind.
Wichtig: Ein Pflichtteilsanspruch bezieht sich dabei immer nur auf Vermögen, sprich einen Anspruch in Geld, nicht auf die Herausgabe von bestimmte Sachen.
Nach § 2325 III BGB „schmilzt“ dabei die Wertigkeit des Nachlassgegenstandes ab. Wurde ein Gegenstand im ersten Jahr vor dem Tod des Erblassers verschenkt, ist dieser noch mit 100 % seines Wertes in den Nachlass einzupreisen. Für jedes weitere Jahr vor dem Tod werden 10 % des Wertes abgezogen, bis der verschenkte Gegenstand keine Berücksichtigung mehr im Nachlass findet.
Problematisch: Die Bewertung von Immobilien
Dem Grunde nach verhält es sich auch mit Immobilien. Wird eine Immobilie drei Jahre vor dem Jahr des Todes des Erblassers verschenkt, wird diese noch mit 80% ihres Wertes in den Nachlass eingepreist.
Wie und nach welchem Prinzip die Wertigkeit von Immobilien ermittelt wird, ist Gegenstand des zweiten Teils des Artikels.
Hier soll die Frage beantwortet werden:
Wann beginnt die Frist aus § 2325 III BGB zu laufen?
Grundsätzlich beginnt die Frist erst mit vollendeter Schenkung, also erst dann, wenn die Immobilie vollständig aus dem Vermögen des Erblassers ausgegliedert ist. Regelmäßig ist dies mit Umschreibung des Grundbuchs gemäß § 873 I BGB der Fall.
Problematisch wird es allerdings, wenn der Erblasser die Immobilie faktisch gar nicht aus seinem Vermögen ausgliedert.
Dies kann der Fall sein, wenn der Erblasser sich ein Wohnrecht oder einen Nießbrauch einräumt.
Bei dem Nießbrauch handelt es sich um ein weitgehendes Nutzungs- und Verwertungsrecht. Der Nießbrauchnehmer ist zwar kein Eigentümer mehr, darf die Immobilie allerdings weitestgehend uneingeschränkt nutzen und diese zum Beispiel auch weitervermieten.
Bei einem Wohnrecht handelt es sich nur um einen Ausschnitt aus einem Nutzungsrecht. Das Wohnrecht ist häufig auf einzelne Teile einer Immobilie begrenzt. Weiter darf der Wohnrechtinhaber die Wohnung grundsätzlich nur persönlich nutzen und nicht an Dritte weitergeben.
Nießbrauch
Da das Nießbrauchsrecht dem Volleigentum an einer Immobilie sehr nahe kommt, geht die insoweit gefestigte Rechtsprechung davon aus, dass ein Verschenker eine mit einem Nießbrauchsrecht zu seinen Gunsten belastete Immobilie nicht völlig aus seinem Vermögen ausgliedert. Er vollzieht die Schenkung nicht in Gänze. Dies führt dazu, dass der Fristbeginn für die Frist nach § 2325 III BGB nicht die Umtragung im Grundbuch ist, sondern die Frist erst mit Nutzungswegfall beginnt.
Dieser Umstand führte schon häufiger bei einigen Erben zu einer bösen Überraschung.
Anders kann dies bei einem sogenannten Quotennießbrauch aussehen. Hier behält sich der Verschenker lediglich die Nutzung einer bestimmten Quote der Immobilie vor.
Wohnrecht
Komplizierter sieht es bei dem lediglich vorbehaltenen Wohnrecht aus.
So entschied der BGH 2016, dass es auf den Umstand im Einzelfall ankommt (BGH vom 29. Juni 2016, Az: IV ZR 474/15).
Er stellt fest, dass ein Wohnrecht geeignet sein kann, den Fristbeginn mit Umschreibung des Grundstücks zu verhindern.
Nicht ausreichend soll es sein, dass ein Wohnrecht lediglich an untergeordneten Teilen der Immobilie besteht. Auch eine rein faktische Nutzung von Räumlichkeiten der Immobilie soll nicht ausreichen.
Als Maßstab für einen etwaigen Fristenlauf aufgrund des Wohnrechts gibt der BGH vor, dass der Verschenker auch im Wesentlichen auf die Nutzung der Immobilie verzichten muss.
Dabei sollen die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sein. Insoweit dürfte es nicht ausschließlich auf eine Nutzung der Immobilienfläche „über 50 %“ ankommen.
Im nächsten Teil des Artikels wird die konkrete vermögensrechtliche Bewertung von Immobilien im Nachlass dargestellt.