I. Einleitung
Eine der anscheinend am leichtfertigsten durch Betreuer gehandhabten Situationen ist es, wenn der Betreute erbt. Dabei verstecken sich gerade in dieser Situation kaum absehbare Haftungsrisiken für den Betreuer, die bedauerlichenfalls meistens unbekannt sind oder zumindest gröblich unterschätzt werden. Der Autor selbst ist Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Wortmann und leitet dort das Dezernat Erbrecht. Gleichzeitig befinden sich zwei Berufsbetreuer in der Kanzlei. Durch die tägliche Zusammenarbeit mit Betreuern und der Arbeit auf dem Gebiet des Erbrecht ist dem Autor klar geworden: Hier muss etwas Aufklärung geleistet werden.
II. Ausgangssituation
Gemäß § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB hat „[d]er Betreuer […] die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht.“
Mit anderen Worten hat der Betreuer gemäß dem durch das Gericht angeordneten Wirkungskreis alle Entscheidungen im Sinne des Betreuten zu treffen. Soweit der Betreuer – typischerweise – den Bereich der Vermögensorge betreut, hat er alle Geschäfte so zu regeln, dass sie zum Vorteil des Betreuten sind. Dies bedeutet im Rechtsverkehr ausschließlich Rechtsgeschäfte abzuschließen, die erforderlich sind, um möglichst Schaden von dem Betreuten abzuwenden.
Der Betreuer haftet dem Betreuten, wenn er seine Pflicht – insbesondere die zur Vermögenssorge – schuldhaft verletzt gem. § 1833 BGB i.V.m. § 1908i BGB.
Sollte der Betreuer also beispielsweise ein nicht erforderliches Geschäft für den Betreuten abschließen (z.B.: einen zweiten, nicht erforderlichen Handyvertrag), dann haftet er dem Betreuten mit seinem Privatvermögen für den entstandenen Schaden.
So offensichtlich der Eintritt des Vermögensschadens bei vorgenanntem Beispiel ist, so verdeckt ist das Haftungsrisiko im Falle der Erbschaft des Betreuten. Insbesondere drohen hier schnell Haftungssummen, die eine etwaige Versicherung weit übersteigen.
Dazu ein Beispiel aus der Anwaltstätigkeit des Autors:
Berufsbetreuerin A sucht den Unterzeichner in seinen Kanzleiräumen mit folgendem Sachverhalt auf. Ihre Betreute habe geerbt. Die Erblasserin selbst stand allerdings bereits unter Betreuung. Das zuständige Amtsgericht habe ihr den Abschlussbericht der Betreuerin der Erblasserin übermittelt. Der Abschlussbericht weise eine negative Kapitalbilanz der Erblasserin auf. Auch das zuständige Nachlassgericht habe ihr geraten auszuschlagen.
Im Ergebnis hatte die Betreuerin A Glück, sich professionelle Hilfe zu suchen, denn mein erster Rat war: Um Gottes Willen nicht ausschlagen!
Tatsächlich fand sich in diesem Nachlass noch eine Immobilie. Hätte die Betreuerin so einfach ausgeschlagen, wäre ein Schaden von ca. 100.000,00 € entstanden.
Die Betreuerin der Erblasserin hat in ihrem Abschlussbericht eine Immobilie angegeben, diese allerdings mit 0,00 € bewertet. Auf Nachfrage des Autors gab das Betreuungsgericht an, es handle sich um eine selbstgenutzte Wohnung. Diese sei in der Vermögenbilanz nicht zu berücksichtigen, da es sich um Schonvermögen handelt. Abgesehen davon, dass diese Ansicht wohl auch nicht mit dem geltenden Recht korrespondiert, hätte im Falle der Ausschlagung die Betreuerin trotz der fehlerhaften Auskünfte gehaftet.
In diesem Fall wäre für die Betreuerin – wie es wahrscheinlich der Regelfall sein dürfte – auch keine Anfechtung der Ausschlagung gem. § 1954 BGB in Betracht gekommen. Denn für diesen Fall – hier der Irrtumsanfechtung – muss die Betreuerin zunächst selbst eine feste Vorstellung von der Überschuldung des Nachlasses haben. Zwar ist die irrige Annahme eines überschuldeten Nachlasses grundsätzlich ausreichend für die Anfechtung der Ausschlagungserklärung, mit der Folge, dass der Anfechtende – unter Aufbringung großer Mühe und viel Geld – doch wieder Erbe wird. Allerdings bedarf es hier einer hinreichend gesicherten Vorstellung des ausschlagenden Betreuers, dass der Nachlass tatsächlich überschuldet ist. Fehlt es daran und die Ausschlagung wird ohne Nachforschungen erklärt, da man den Nachlass (möglicherweise aufgrund fehlerhafter Informationen Dritter) für überschuldet hält, ist eine Irrtumsanfechtung regelmäßig ausgeschlossen (OLG Düsseldorf Beschluss v. 31.01.2011 I-3 Wx 21/11).
Im vorliegenden Fall wäre die Betreuerin also vollkommen in der Haftung gewesen.
III. Das richtige Vorgehen im Erbschaftsfall
Sie kommen nun in die unangenehme Situation, dass Ihr Betreuter erbt. Was nun?
Nicht voreilig ausschlagen!
Das ist tatsächlich zunächst das Wichtigste. Dem Autor ist bekannt, dass es ein Impuls der Betreuer ist, bei nicht offensichtlich potenten Nachlässen schnell die Ausschlagung zu erklären. Insbesondere, wenn der Betreute nicht an erster Stelle der Erbordnung steht und es ggf. schon Ausschlagungen davor gab. Allerdings zeigt obiges Beispiel recht eindeutig: Ausschlagen ohne fundierte Kenntnis des Nachlasses ist keine Option.
Es gibt aber auch andere Möglichkeiten:
Empfehlenswert ist es, sich unverzüglich anwaltliche Unterstützung in Form eines Erbrechtsanwalts zu organisieren.
Unabhängig davon ist Folgendes zu beachten:
1. Erbausschlagungsfrist
Auch wenn eine unüberlegte Ausschlagung keinen Sinn macht und gefährlich ist, kann sich zum Ende der Ausschlagungsfrist ergeben, dass eine Ausschlagung ungefährlich ist.
Grundsätzlich Beginnt die Frist mit Kenntnis des Todes des Erblassers und des Grundes der Berufung. Ab dann läuft eine sechs Wochen Frist gem. § 1644 Abs. 1 BGB. Sollte Ihr Betreuter geschäftsunfähig und ihm selbst jedoch die entsprechende Meldung des Nachlassgerichts zugestellt worden sein, beginnt die Frist erst ab Kenntnis des Betreuers (BayObLG, FamRZ 98,642).
2. Ermittlungen
In der Erbausschlagungsfrist sollten die ersten notwendigen Ermittlungen angestellt werden, erforderliche Auskünfte bei den Ämtern angefragt werden etc.
Es bietet sich an, ein Nachlassverzeichnis zu fertigen, welches alle Nachlassaktiva und
-passiva ausweißt.
Sollte sich nach Abschluss der Ermittlungen innerhalb der Ausschlagungsfrist kein klares Bild der Überschuldung des Nachlasses abzeichnen, darf der Nachlass nicht ausgeschlagen werden!
3. Nach Ablauf der Ausschlagungsfrist
- Sollte sich nach Ablauf der Ausschlagungsfrist herausstellen, dass der Nachlass potent ist, also die Aktiva die Passiva übersteigen: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben Ihrem Betreuten Vermögen eingebracht und sind selbst einer Haftungsfalle entkommen.
- Sollte sich herausstellen das der Nachlass indifferent ist oder doch überschuldet, gilt es nunmehr nachlasssichernde Maßnahmen zu ergreifen. Nach Ansicht des Unterzeichners ist es die Unkenntnis der Möglichkeit der nachlasssichernden Maßnahmen, die bei Betreuern den Reflex der Flucht in die Erbausschlagung auslösen. Was kann man also machen?
1. Sollte der Nachlass immer noch nicht ausreichend geordnet sein (Bsp.: Weil sich ein Handelsgewerbe oder ähnliches in dem Nachlass befindet), ist ein Antrag auf Nachlassverwaltung gem. § 1981 Abs. 1 BGB zu stellen. In diesem Fall trennt sich das Vermögen des Erblassers von dem des Erben und etwaige Forderungen gegen den Nachlass werden auf diesen begrenzt. Der Betreute haftet nicht mehr für etwaige Schulden des Erblassers. Auf der Gegenseite verliert der Erbe die Verfügungsgewalt über den Nachlass. Ist der Nachlass hinreichend geordnet, wird ein etwaiger verbleibender Rest an den Erben übergeben. Eine Nachlassverwaltung ist meist mit hohen Kosten verbunden und sollte nicht leichtfertig beantragt werden.
2. Sollte sich der Nachlass als überschuldet darstellen, muss unverzüglich die Nachlassinsolvenz beantragt werden gemäß 1980 BGB. Auch in diesem Fall werden Nachlassvermögen und Privatvermögen des Betreuten getrennt. Ein eingesetzter Insolvenzverwalter begleitet ab hier die Verteilung des Nachlasses.
3. Sollten selbst die Kosten des Nachlassinsolvenzverfahrens nicht aus den vorhandenen Aktiva gedeckt werden können (also kein Bargeld oder Bankgeld mehr vorhanden sein), besteht noch die Möglichkeit, die Dürftigkeitseinrede gemäß § 1990 BGB zu erheben. Damit kann der Erbe die Befriedigung von etwaigen Gläubigern verweigern.
IV. Fazit
Für einen Betreuer ist das Ausschlagen einer Erbschaft aufgrund der Möglichkeit der nachlasssichernden Maßnahme nicht erforderlich und kann im schlimmsten Fall sogar zu einer empfindlichen Haftung führen. Sollten Sie keine Erfahrung mit der Abwicklung von Erbschaften haben, ist es völlig legitim, einen Erbrechtsanwalt mit der Abwicklung zu beauftragen.